Die Geister der Moldau — Kapitel 1 Ankunft

Auf dem Kocher in einer Flur­ni­sche hat­te ich Tee gekocht. Mei­ne Freun­din hat­te mir gesagt, was ich brau­chen wür­de; so fand sich alles zum Kochen Nöti­ge in mei­nem Kof­fer. Von dem reich­li­chen Rei­se­pro­vi­ant waren noch Bro­te, Obst und zwei Eier da. Ich deck­te den Tisch, und als Maria vom Waschen wie­der­kam, lächel­te sie. Sie bedank­te sich mehr, als nötig war und ver­sprach, auch ihr Teil an Arbeit zu tun. Aber ihr Gesicht war jetzt verschlossen.

Das Gespräch blieb ein­sil­big. Ich ver­such­te auch nicht, es wie­der zu bele­ben. Ich war nicht so neu­gie­rig auf ihre Bekennt­nis­se. Mei­ne Gedan­ken lie­fen mir vor­aus in die gro­ße Stadt, deren Stim­me und Atem zu uns ins Zim­mer weh­te. Ich fie­ber­te danach, die Trep­pen hin­un­ter­zu­ge­hen und aus dem Hau­se hin­aus­zu­tre­ten in die Fremde.

Gegen zehn klopf­te es an unse­re Tür. Erschro­cken blick­te Maria von ihrem Kof­fer auf, des­sen Inhalt inzwi­schen fast völ­lig in ihren Schrank geord­net war. Ihr Gesicht nahm einen gejag­ten Aus­druck an. Ich frag­te mich betrof­fen, ob es ihr Mann war, den sie fürch­te­te, oder wer sonst.

Aber es war nur das Mäd­chen mit dem Kas­ta­ni­en­haar, das kam, um mich abzu­ho­len. Sie nann­te ihren Namen — Ellen Brand. Wir nann­ten die unse­ren und gaben ein­an­der flüch­tig die Hand. Eilig mach­te ich mich fer­tig zum Gehen. Der Höf­lich­keit hal­ber frag­te ich Maria, ob sie nicht mit­kom­men woll­te, da sie ja die­sel­ben Wege gehen muss­te. Sie dank­te aber und lehn­te ab, ließ sich nur kurz den Weg beschrei­ben und blieb allein zurück.

Mit Ban­gen dach­te ich, wäh­rend wir die Trep­pe hin­un­ter gin­gen, ob Maria nach so schnell ver­sieg­ter Ver­trau­lich­keit ein Semes­ter lang so mür­risch neben mir hin­le­ben wür­de. Wie ich es aus­hal­ten soll­te, Tag für Tag die­sem ver­schlos­se­nen Gesicht zu begeg­nen, das auf mei­ne Fra­gen nicht ant­wor­ten wollte.

Aber ich war mir sicher, dass es mir an Gesell­schaft nicht feh­len wür­de. Jetzt glaub­te ich eher, dass sie es sein könn­te, die mit ihren trü­ben Gedan­ken allein blei­ben könn­te. Nichts konn­te ich wis­sen an die­sem Mor­gen von allem, was unser bei­der Leben inein­an­der ver­spin­nen und wie­der von­ein­an­der lösen wür­de. Nichts wuss­te ich von allem, was wir haben wür­den an Freu­de und Bit­ter­keit, jeder für sich allein. Der Flie­der­duft in den unbe­kann­ten Stra­ßen ver­sprach hun­dert son­ni­ge, seli­ge Sommertage.

Hradschin

Burg Hradschin von der Klein­sei­te aus gese­hen, 1942

 

 

 

 

 

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