4. Fröhliche Frauen und ein frommer Mann

22. August

Früh­stü­cken wir hier oder im Pud­ding Shop?”
Ich schla­ge den „Pud­ding Shop” vor, denn dort habe ich ges­tern am Schwar­zen Brett einen Wer­be­zet­tel für ein „Hamam for Women” gese­hen. Und in so ein „Tür­ki­sches Bad” woll­te ich schon immer mal.
„Das ist doch so etwas Ähn­li­ches wie eine Sau­na,” meint Inge stirn­run­zelnd, „ist es dir etwa immer noch nicht heiß genug?”
„Och, ich fin­de Sau­nen im Hoch­som­mer ganz ange­nehm. Da hat man ja auch jede Men­ge kal­tes Was­ser zum Abküh­len. Außer­dem soll es in die­sen Dampf­bä­dern viel schö­ner sein als in einer Sau­na, alles sehr edel, viel Marmor…”
„Und weit und breit kein ein­zi­ger Mann,” feixt Inge. Mei­ne Spe­ku­la­tio­nen hin­sicht­lich der Mas­sen von Ver­eh­rern, die uns dem­nächst zu Füßen lie­gen müss­ten, schei­nen sie immer noch zu amü­sie­ren. „Okay, du hast mich über­zeugt. Lass uns ins Tür­ki­sche Bad gehen.”

Im „Pud­ding Shop” sitzt schon wie­der (fast) die glei­che Run­de von Indi­en­fah­rern wie ges­tern. Istan­bul ist so eine auf­re­gen­de Stadt, den­ke ich, und die sit­zen hier den lie­ben lan­gen Tag her­um und erzäh­len sich Geschich­ten von woanders.
Viel­leicht hat sich Cathe­ri­ne gera­de etwas Ähn­li­ches über­legt, oder die pala­vern­de Her­ren­run­de fängt an, sie zu lang­wei­len. Jeden­falls will sie mit­kom­men ins Frau­en-Hamam, und auch Anna schließt sich uns an.
Dank einer Skiz­ze auf dem Wer­be­zet­tel haben wir das Bad schnell gefunden.

Als wir uns ent­klei­det und gewa­schen haben und mit einem um die Hüf­te geschlun­ge­nem Baum­woll­tuch den gro­ßen Haupt­raum betre­ten, schlägt uns schwü­le Hit­ze ent­ge­gen. Hier drin­nen ist es tat­säch­lich noch wär­mer als drau­ßen, und die Luft­feuch­tig­keit ist so enorm, dass das Kon­dens­was­ser in klei­nen Bächen an den Wän­den hin­ab rinnt..
Es ist wirk­lich ein präch­ti­ger Bau. Die Kup­pel über dem hohen, run­den Raum ist reich mit Mosai­ken aus­ge­schmückt, Wän­de, Boden und das Stu­fen­po­dest zum Sit­zen bestehen aus Mar­mor. In den Wän­den rings­um gibt es stei­ner­ne Was­ser­be­cken und Zugän­ge zu wei­te­ren, klei­nen Waschräumen.
Außer uns sind nur wei­te­re drei Frau­en anwe­send, zwei Fran­zö­sin­nen und eine Öster­rei­che­rin, wie sich her­aus­stellt. Auch sie haben durch den Aus­hang im „Pud­ding Shop” hier­her gefun­den. „Das ist hier anschei­nend ein Hamam für Tou­ris­ten-Frau­en,” mut­maßt Catherine.

Mit der Zeit gewöhnt man sich an die war­me, feuch­te Luft, und wir schwit­zen erge­ben vor uns hin. Zwi­schen­durch, erklärt uns die Öster­rei­che­rin, geht man immer wie­der zu einem der Wasch­be­cken, lässt war­mes oder kal­tes Was­ser in einen Plas­tik­krug lau­fen und über­gießt sich damit. Das Plas­tik­ge­fäß ist ein­deu­tig ein Stil­bruch, ange­sichts des vie­len Mar­mors und der Was­ser­häh­ne, die zwar wohl kaum aus Gold sind, aber so glän­zen, als wären sie es…
Zwei in Tücher gewi­ckel­te tür­ki­sche Frau­en kom­men her­ein und fra­gen, ob wir Çay möch­ten. Ja, wir alle wol­len Tee, und als Anna auf ihre Ziga­ret­ten zeigt und mit den Hän­den eine Scha­le formt, bekom­men wir auch Aschenbecher.

Es ist eine wun­der­vol­le Oase der Ent­span­nung inmit­ten die­ser lär­men­den, stau­bi­gen Groß­stadt. Wir sit­zen oder lie­gen auf dem Mar­mor­po­dest her­um, rau­chen, trin­ken Tee, schwit­zen und schwatzen.
Als wir nach meh­re­ren Stun­den wie­der auf die Stra­ße hin­aus­tre­ten, ler­nen wir eine der groß­ar­tigs­ten Wir­kun­gen eines „Tür­ki­schen Bads” ken­nen: Obwohl es voll­kom­men wind­still ist und die Tem­pe­ra­tur nach wie vor um die 35 Grad beträgt, kommt uns die tro­cke­ne Luft hier drau­ßen auf ein­mal bei­na­he kühl vor!

Herr­lich erfrischt machen Inge und ich uns auf zum Kapa­lÄѠ­ÇarşÄѬ dem „Gro­ßen Bazar”.
Dass wir uns ges­tern gründ­lich umge­guckt, aber nichts gekauft haben, zahlt sich heu­te aus. Inge ersteht eine Umhän­ge­ta­sche aus Tep­pichstoff und ich kau­fe mei­nen Löwen­ring aus email­lier­tem Sil­ber – und bei­des erste­hen wir für etwa die Hälf­te des Gel­des, das wir ges­tern ver­mut­lich bezahlt hät­ten. Auf dem Rück­weg keh­ren wir im Pud­ding Shop ein, um dort zu Abend zu essen – und natür­lich, um den Ande­ren unse­re Ein­käu­fe zu zei­gen. Über­ra­schen­der­wei­se sehen wir aber dies­mal kein bekann­tes Gesicht im Restaurant.

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Natür­lich sind trotz­dem, wie um die­se Zeit üblich, alle Tische besetzt.
Inge und ich wol­len gera­de wie­der gehen, als ich ganz hin­ten links einen Tisch ent­de­cke, an dem eine ein­zel­ne Frau sitzt. Ich tip­pe Inge auf den Arm und mache sie auf den Tisch auf­merk­sam – „komm, wir fra­gen mal, ob wir uns da mit hin­set­zen können.”
Es ist eine älte­re Frau mit grau­en, zu einem dicken Zopf gefloch­te­nen Haa­ren, und sie hat nichts dage­gen, dass wir an ihrem Tisch Platz neh­men. Im Gegen­teil, sie scheint es sogar ganz nett zu fin­den, beim Essen Gesell­schaft und Gesprächs­part­ner zu haben, denn als plötz­lich Cathe­ri­ne neben dem Tisch steht und fragt, ob sie sich auch noch dazu­set­zen darf, lacht sie freund­lich und lädt sie mit einer Hand­be­we­gung ein, neben ihr Platz zu nehmen.

Als der Kell­ner an unse­re Tisch kommt, fragt sie uns nach unse­ren Wün­schen und gibt dann die Bestel­lung in flie­ßen­dem Tür­kisch auf.
Wir erfah­ren, dass sie Ame­ri­ka­ne­rin ist, dass sie als jun­ge Frau zum ers­ten Mal nach Istan­bul kam und danach immer wie­der, und dass sie nun schon seit 16 Jah­ren in die­ser Stadt wohnt.
Sie kön­ne sich gar nicht mehr vor­stel­len, irgend­wo anders zu leben, sagt sie – in Istan­bul trä­fen nicht nur Euro­pa und Asi­en auf­ein­an­der, son­dern man kön­ne in die­ser Stadt auch das Bes­te aus den Kul­tu­ren bei­der Kon­ti­nen­te finden.
Sie erzählt von einem tür­ki­schen Geschäfts­mann, des­sen Gelieb­te sie vie­le Jah­re lang war. Als sie ihn wäh­rend ihrer ers­ten Euro­pa­rei­se ken­nen lern­te, war sie mit einem Ame­ri­ka­ner ver­lobt, den sie nach ihrer Rück­kehr in New York hei­ra­te­ten soll­te. Wegen des wesent­lich älte­ren Man­nes aus Istan­bul – „but I tell you, I had the best sex in my life with this guy…” – ließ sie die Ver­lo­bung plat­zen, nahm einen Job in der euro­päi­schen Nie­der­las­sung einer ame­ri­ka­ni­schen Com­pa­ny in Genf an und reis­te mehr­mals im Jahr in die Tür­kei zu ihrem Liebhaber.
Als er starb, erb­te sie zu ihrer Über­ra­schung das „sum­mer house” am Bos­po­rus-Ufer, in dem sie wäh­rend ihrer Besu­che in der Stadt immer gewohnt hat­te. Sie spricht mit gro­ßer Wär­me von dem Ver­stor­be­nen. Sie berich­tet auch von den Künst­lern, die in jenen Tagen in ihrem Haus zu Gast waren, von Musi­kern, Schrift­stel­lern und Schauspielern.

Inge, Cathe­ri­ne und ich lau­schen hingerissen.
Bei­na­he ver­ges­se ich zu essen.
Nie­mals zuvor habe ich eine Frau in die­sem Alter ken­nen gelernt – sie ist bestimmt eini­ge Jähr­chen älter als mei­ne Mut­ter – die ein so unkon­ven­tio­nel­les, eigen­wil­li­ges Leben geführt hat. Und auch noch der­art frei­mü­tig davon erzählt.
Sie hat sich ganz offen­sicht­lich nie dar­um geküm­mert, was ihre Fami­lie – oder „man”, die Gesell­schaft – von ihr erwar­tet haben, son­dern ist unbe­irrt ihren Weg gegangen.
„And here I am – sit­ting in the Pud­ding Shop, when­ever I feel like having a litt­le eng­lish con­ver­sa­ti­on,” been­det die Ame­ri­ka­ne­rin lächelnd ihre Geschichte.

Nun will sie wis­sen, was uns nach Istan­bul geführt hat und was wir denn, zum Bei­spiel, heu­te gemacht hätten.
Zuerst sind wir ein biss­chen befan­gen, aber dann erzäh­len Inge und ich von unse­rem Baz­ar­bum­mel und zei­gen unse­re Ein­käu­fe. Sie fin­det mei­nen Sil­ber­ring sehr hübsch (zumin­dest sagt sie es), und das freut mich unge­mein. Auch ist sie der Mei­nung, dass wir Schmuck­stück und Tasche recht preis­güns­tig erwor­ben haben.
Den Bericht über unse­ren Hamam-Besuch fin­det sie erhei­ternd – und bestä­tigt Cathe­ri­nes Ver­mu­tung, dass es ein „Tou­ris­ten-Hamam” gewe­sen sei. Tür­ki­sche Frau­en wür­den dort aus meh­re­ren Grün­den nicht hin­ge­hen: Weil sich dort zu vie­le Frau­en aus dem Wes­ten auf­hiel­ten, weil es zu teu­er sei und weil trotz des hohen Ein­tritts­prei­ses über­haupt kein Ser­vice gebo­ten würde.
Wir wider­spre­chen – gar kein Ser­vice sei nicht rich­tig. Man hat uns dort immer­hin Tee serviert…
Die älte­re Frau lacht, bis ihr Trä­nen in den Augen stehen.
Tee, prus­tet sie, bekä­me man in der Tür­kei über­all ser­viert. Das sei kein „Ser­vice”.

Did a nat’r give you a massage?”
Natir? Mas­sa­ge? Wir sehen sie fra­gend an.
„Okay, wait a minu­te.” Sie wischt sich eine Lach­trä­ne aus dem Auge, kramt einen Kugel­schrei­ber aus ihrer Tasche und krit­zelt einen gro­ben Lage­plan auf eine Serviette.
„Here we have the Pud­ding Shop. And you’ve been in this Hamam today, right? Look, here ist the bazar…” Wir gucken auf die Skiz­ze und nicken.
„Okay. Tomor­row you should go the­re…” Sie malt ein gro­ßes Kreuz etwas wei­ter rechts. „The­re you’ll find out, what ’ser­vice’ in a Hamam means!”