Pflegenotstand — kein Ende in Sicht

Im Betriebs­rat in dem Kran­ken­haus, in dem ich zur Zeit arbei­te, gerie­ten wir kürz­lich wie­der ein­mal in eine hef­ti­ge Debat­te über die Grün­de für den Man­gel an Pfle­ge­kräf­ten und über Mög­lich­kei­ten, die­sen Man­gel zu besei­ti­gen. Aus­ge­löst wur­de sie durch eine Mit­be­stim­mungs­an­zei­ge für zwei Pfle­ge­kräf­te aus Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na, die auf der Inten­siv­sta­ti­on die Arbeit auf­neh­men sollten.

Im Grun­de genom­men ist die gegen­wär­ti­ge Gewin­nung von Pfle­ge­kräf­ten — wie im übri­gen schon seit lan­gem — unethisch, weil sie auf Kan­ni­ba­li­sie­rung beruht. Es ist ein gutes Zei­chen, dass es uns wütend macht, denn es ist falsch und muss bekämpft werden.

Die Kan­ni­ba­li­sie­rung geht natio­nal und inter­na­tio­nal von­stat­ten. Es ist näm­lich kein Zei­chen von wun­der­ba­rer inter­na­tio­na­ler Zusam­men­ar­beit, dass man die Gren­ze zu Tsche­chi­en nicht schlie­ßen kann, weil dann in Bay­ern Ärz­te und Pfle­ge­kräf­te feh­len (und Arbeits­kräf­te bei Auto­bau­ern und ‑zulie­fe­rern), son­dern eine aggres­si­ve und zer­stö­re­ri­sche Aus­beu­tung der Res­sour­cen unse­rer euro­päi­schen Nach­barn. Hat sich denn nie jemand gefragt, wer in Ser­bi­en, Alba­ni­en, Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na, in Tsche­chi­en und in Polen — um nur ein paar Bei­spie­le zu nen­nen — kran­ke Men­schen behan­delt und pflegt? Wie die­se Län­der es ver­kraf­ten, dass die Men­schen ihnen den Rücken keh­ren, sobald sie gut aus­ge­bil­det sind? Was das für die Zukunft die­ser Län­der bedeu­tet? Offen­bar haben wir uns so sehr an die­sen sehr ein­sei­ti­gen „Aus­tausch” gewöhnt, dass wir nichts Anrü­chi­ges dar­an fin­den kön­nen. War das nicht immer schon so? Kom­men Kran­ken­schwes­tern nicht schon immer von weit her, aus Viet­nam und aus Polen? Hat man sich nicht mitt­ler­wei­le dar­an gewöhnt, dass der Arzt den Pati­en­ten nicht gut ver­steht, weil er des­sen Spra­che nur lücken­haft spricht?