15. Über den Khyber-Pass

Nach­dem wir die letz­ten Gebäu­de und Gas­sen Kabuls hin­ter uns gelas­sen haben, durch­quert der 608 auf einer schma­len, aber immer­hin asphal­tier­ten Pis­te eine Land­schaft, die immer schrof­fer und stei­ni­ger wird. Am Ran­de der Stadt gab es wenigs­tens ein paar Bäu­me und bewäs­ser­te grü­ne Flä­chen, aber nun schweift der Blick aus­schließ­lich über Fel­sen und Geröll­fel­der, die, wenn über­haupt, nur spär­lich mit nied­ri­gem Gestrüpp bewach­sen sind.
Ich bin in melan­cho­li­scher Stimmung.

Heu­te mor­gen ist mir klar gewor­den, dass so eine Rei­se ins Unbe­kann­te – die ich bis­her nur als Berei­che­rung, als ein täg­li­ches Ler­nen und auf­re­gen­des Ent­de­cken von frem­den Län­dern und Men­schen emp­fun­den habe – auch ihre Schat­ten­sei­te hat. Solan­ge das Rei­se­ziel nicht erreicht ist, geht es näm­lich immer wei­ter, auch dann, wenn man eigent­lich viel lie­ber blei­ben als wei­ter rei­sen möchte.

Yus­suf, Moham­med, Enri­que… Ver­mut­lich wer­de ich kei­nen von ihnen je wiedersehen.
Ande­rer­seits: wer und was mag da vor mir noch dar­auf war­ten, ent­deckt zu werden?

Plötz­lich bin ich ganz sicher, dass ich an kei­nem der fas­zi­nie­ren­den Orte, die ich gese­hen habe – und auch bei kei­nem der wun­der­vol­len Men­schen, die mir begeg­net sind – schon wirk­lich „ange­kom­men” bin.

Wäre es so gewe­sen, hät­te ich es bestimmt gespürt – und wäre ein­fach geblieben.

Das Ziel mei­ner Rei­se muss also immer noch irgend­wo vor mir liegen…

Das Gebir­ge um uns her­um bie­tet mitt­ler­wei­le einen auf so auf­re­gen­de Art unwirk­li­chen Anblick, dass ich nicht län­ger Trüb­sal bla­sen kann.

Ich packe mei­nen Foto­ap­pa­rat aus, und nur die Unge­wiss­heit, in wel­cher Qua­li­tät (und zu wel­chem Preis!) Nach­schub an Dia-Fil­men in Paki­stan oder Indi­en erhält­lich ist, hält mich davon ab, auf einer Stre­cke von weni­gen Kilo­me­tern einen gan­zen Film zu verknipsen.

Da ich nicht jede Kur­ve, jede Schlucht und jede Brü­cke foto­gra­fie­ren kann, kle­be ich mit der Nase an der Sei­ten­schei­be und sau­ge die Bil­der mit auf­ge­ris­se­nen Augen in mich hinein.

Als dann auf einem Fels­vor­sprung neben der Stra­ße zwei Pasch­tu­nen auf­tau­chen, die außer volu­mi­nö­sen Tur­ba­nen auch Dol­che im Gür­tel, brei­te Patro­nen­gur­te sowie kunst­voll ver­zier­te Geweh­re tra­gen, wird mir klar, war­um die­se fel­si­ge Land­schaft mir so eigen­ar­tig irre­al erscheint – weil ich Der­ar­ti­ges bis­lang nur in mei­ner Fan­ta­sie gese­hen habe!

Und zwar in den Tagen mei­ner Kind­heit, wenn ich mit glü­hen­den Wan­gen (oft abends, mit einer Taschen­lam­pe „bewaff­net” unter der Bett­de­cke) jene Karl May-Bän­de ver­schlang, die die Aben­teu­er des Kara Ben Nem­si in Nord­afri­ka und im Ori­ent erzählen.
„Ich weiß, sie sehen male­risch aus, aber bit­te foto­gra­fiert die Jungs nicht,” ruft Rolf durch den Bus, und Rosi und ich las­sen unse­re Kame­ras sinken.

Hier ist Stam­mes-Gebiet, und wir soll­ten die­se Her­ren nicht pro­vo­zie­ren. Ihre Flin­ten sind näm­lich kei­ne Deko­ra­ti­on, die wer­den auch benutzt – für Schmug­gel, Blut­ra­che oder Stra­ßen­raub…” erklärt unser Fah­rer und gibt Gas, um uns mög­lichst schnell aus der Schuss­wei­te der bei­den Pos­ten zu bringen.

Die wie an die Fel­sen gekleb­ten Gebäu­de und win­zi­gen, aus weni­gen Häu­sern bestehen­den Ansied­lun­gen, die es hier zu sehen gibt, bestä­ti­gen Rolfs Ein­schät­zung – sie haben klei­ne, wie Schieß­schar­ten wir­ken­de Fens­ter, sind von Mau­ern umge­ben und machen den Ein­druck von jeder­zeit auf Angrif­fe vor­be­rei­te­ten Trutzburgen.

Die Stra­ße, auf der wir unter­wegs sind, ist über­wie­gend ein­spu­rig. Auf der einen Stra­ßen­sei­te ragt in der Regel eine Berg­wand empor, und auf der ande­ren Sei­te geht es meist hin­un­ter in eine schwin­del­erre­gend tie­fe Schlucht. Manch­mal trennt noch ein nied­ri­ges Mäu­er­chen Stra­ße und Abgrund, oft genug aber auch nicht. Ab und zu ver­brei­tert sich die Pis­te zu einer Ein­buch­tung, in die man aus­wei­chen kann, um Gegen­ver­kehr pas­sie­ren zu las­sen. Glück­li­cher­wei­se gibt es kaum Gegen­ver­kehr; war­um auch immer, auf der gan­zen Stre­cke zum Pass begeg­nen uns höchs­tens ein Dut­zend Autos, bunt bemal­te LKWs und uralte Limou­si­nen – alle­samt mit Men­schen und Mate­ri­al so über­la­den, dass es an ein Wun­der grenzt, dass die­se Fahr­zeu­ge es noch die Stei­gun­gen hin­auf geschafft haben.
Irgend­wann hält Rolf vor einer Brü­cke an, die zwei gegen­über­lie­gen­de Berg­hän­ge über eine Schlucht hin­weg verbindet.

Anna spricht aus, was wir alle denken:

Mei­ne Güte, wie willst du denn da rüber kommen?”

In der letz­ten Vier­tel­stun­de hat sich die (ein­spu­ri­ge) Stra­ße auf die übli­che Wei­se am Berg ent­lang geschlän­gelt – rechts Fel­sen, links Abgrund. Nun ragt plötz­lich auch direkt vor uns eine Fels­wand auf. Davor macht die Stra­ße einen schar­fen Knick nach links, auf die schma­le Brü­cke. Und das ist wirk­lich ein 45-Grad-Knick, kei­ne Kurve!

Am Ende der Brü­cke folgt der nächs­te Knick, wie­der 45 Grad, dies­mal nach rechts. Auch dort gilt wie­der: Fels­wand auf der einen, Abgrund auf der ande­ren Straßenseite.
„Ach, da bin ich bis­her noch jedes Mal rum gekom­men,” meint unser Fah­rer gelas­sen, und wäh­rend er beginnt, den Bus unter vol­lem Ein­satz am Lenk­rad stück­wei­se vor und zurück zu ran­gie­ren, erzählt er, dass er von die­ser Stel­le aus schon mal sechs Kilo­me­ter bis zur nächs­ten Aus­weich­mög­lich­keit im Rück­wärts­gang fah­ren muss­te, weil auf der ande­ren Sei­te der Fah­rer eines Rei­se­bus­ses dabei war, sein Fahr­zeug auf die Brü­cke zu manövrieren.

Und der hat­te immer­hin schon das vor­de­re Drit­tel des Bus­ses um die Ecke gebracht, der mitt­le­re Teil hing dabei überm Abgrund… Die Pas­sa­gie­re waren alle aus­ge­stie­gen, nur der Fah­rer saß noch im Bus und hat sich die See­le aus dem Leib gekur­belt. Das Gan­ze hat Stun­den gedau­ert; war aber auch wirk­lich eine Rie­sen­kis­te,” Rolfs Respekt vor der fah­re­ri­schen Leis­tung klingt in sei­ner Stim­me mit.
„Na, und möch­te jemand von euch vor­her aussteigen?”

Nö,” sage ich sofort, und auch die ande­ren Pas­sa­gie­ren wol­len die Brü­cke nicht zu Fuß über­que­ren. Erst als ich über mei­ne spon­ta­ne Ant­wort nach­den­ke, mer­ke ich, dass ich die Vor­stel­lung, gemein­sam mit mei­nem Mit­rei­sen­den in die Schlucht zu stür­zen, weni­ger beängs­ti­gend fin­de als die, den Khy­ber-Pass allein und zu Fuß bewäl­ti­gen zu müssen.
Rolf braucht zwar nicht meh­re­re Stun­den, aber es dau­ert schon etwa eine Vier­tel­stun­de, bis der Bus tat­säch­lich auf der Brü­cke steht. Dann rollt er eini­ge Meter, und das Ran­gie­ren geht von vorn los: Lenk­rad im Uhr­zei­ger­sinn ein­schla­gen, ein klei­nes Stück vor­rol­len, dann das Lenk­rad in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung kur­beln und den Wagen ein noch klei­ne­res Stück zurück rol­len las­sen, dann das Lenk­rad rechts her­um dre­hen, und so wei­ter, und so fort…

Nie­mand sagt etwas, alle beob­ach­ten auf­merk­sam Rolfs Akti­vi­tä­ten am Steu­er des 608.

Dan­kens­wer­ter­wei­se ist unser sonst oft so „zap­pe­li­ger” Fah­rer in die­ser Situa­ti­on die Ruhe selbst – was ich eben­so beru­hi­gend fin­de wie für die Vor­stel­lung, dass er die­ses wil­de Gebir­ge und auch die­sen Eng­pass ja bereits fünf­mal erfolg­reich durch­quert hat.
Als die Brü­cke hin­ter uns liegt, geht ein hör­ba­res Auf­at­men durch den Bus.

Plötz­lich reden alle wie­der, und Ulli fängt an, einen rie­si­gen Joint zu bauen.

Wenn du noch was von dem Zeug hast, soll­ten wir es in den nächs­ten zwei, drei Stun­den weg­rau­chen,” erklärt ihm Rolf, „sonst musst du ’s vor der Gren­ze aus dem Fens­ter schmei­ßen. Wenn die paki­sta­ni­schen Zöll­ner näm­lich grad mal wie­der Ärger mit Schmugg­lern hat­ten, haben sie ganz schlech­te Lau­ne – dann kon­trol­lie­ren sie beson­ders gründ­lich, oder sie machen die Gren­ze für ein, zwei Tage ganz dicht!”

Ulli macht ein Gesicht, als hät­te er Zahn­schmer­zen. Ver­mut­lich hat unser spar­sa­mer Land­freak in Kabul einen gro­ßen Bro­cken Cha­ras güns­tig erstan­den, und nun bekommt er zu hören, dass er es bis zur Gren­ze ver­brau­chen oder weg wer­fen muss!

Abge­se­hen von Agnes sind wir ihm gern dabei behilf­lich, die Dro­ge zu ver­nich­ten, und Rolf legt eine Kas­set­te mit Pink Floyds „Wish you were here” ein. („Up the Khy­ber” von der LP „More” wäre eigent­lich noch pas­sen­der.) Ich klet­te­re nach hin­ten auf die Matrat­ze, bestau­ne die fas­zi­nie­ren­de Gebirgs­land­schaft und bin ein­fach nur glück­lich dar­über, hier und jetzt unter­wegs zu sein.
Wir errei­chen eine Art Hoch­pla­teau, und inmit­ten von all dem Sand, Gestrüpp und Fel­sen erscheint plötz­lich eine Rei­he gro­ßer, tief­blau­er Seen (viel­leicht sind es auch Buch­ten eines ein­zi­gen, rie­si­gen Sees). Wie ein Ket­te gigan­ti­scher, glatt polier­ter Edel­stei­ne glän­zen die Was­ser­flä­chen in der Son­ne, und ich muss zwei­mal hin­schau­en, um mich zu ver­ge­wis­sern, dass ich kei­ne Fata Mor­ga­na sehe.

Scha­de, dass Rolf hier nicht anhält.

Ich wür­de gern mei­ne Hän­de in das Was­ser tau­chen, um wirk­lich sicher zu sein, dass es real ist. Und ich wür­de gern am Ufer die­ses him­mel­blau­en Sees tan­zen… zur Musik von Pink Floyd.

Die Grenz­sta­ti­on Tork­ham liegt in einem Tal kurz vor dem Khy­ber Pass, und wider Erwar­ten wer­den wir dort unge­mein zügig abgefertigt.

Wir müs­sen nicht ein­mal aus­stei­gen; der Zoll­be­am­te setzt sich auf den Bei­fah­rer­sitz (den Cathe­ri­ne recht­zei­tig frei gemacht hat) und stem­pelt unse­re Päs­se ab, die wir zu Rolf nach vorn gereicht haben. Dann wirf er noch einen Blick in die Run­de und steigt wie­der aus.
„Oh Mann, wenn ich das gewusst hät­te!” stöhnt Ulli.

Er hat es nicht geschafft, sein Cha­ras auf­zu­rau­chen, und muss­te den Rest auf der Ser­pen­ti­nen­stre­cke nach Tork­ham her­un­ter aus dem Fens­ter werfen.

So etwas kann man nie vor­her wis­sen,” meint unser Fah­rer achselzuckend.

Aller­dings mei­ne ich gese­hen zu haben, dass zwi­schen unse­ren Päs­sen ein Geld­schein steck­te, als Rolf sie dem Zöll­ner über­reich­te. War­um soll­te er auch nicht ver­su­chen, die Grenz­for­ma­li­tä­ten mit ein paar Dol­lars abzu­kür­zen? Die Hoff­nung, ich wür­de noch ein­mal mit einer Bei­na­he-Ohn­macht dafür sor­gen, dass wir schnell über die Gren­ze kom­men, hat unser Fah­rer inzwi­schen wohl klu­ger­wei­se aufgegeben.

Nach der Pass­über­que­rung geht es berg­ab, und nach und nach ver­än­dert sich… na ja, eigent­lich ver­än­dert sich alles.

Links und rechts der Stra­ße wuchert eine saf­tig grü­ne, exo­ti­sche Vege­ta­ti­on. Erst bei ihrem Anblick wird mir bewusst, wie sehr Sand und Stein die Gegen­den domi­niert haben, die wir in den letz­ten Wochen durch­quert haben – seit der Osttürkei.
Auch die Men­schen sehen ganz anders aus.

Die meis­ten Män­ner sind mit wei­ten Gewän­dern und Tur­ban zwar ähn­lich geklei­det wie die Pasch­tu­nen im afgha­ni­schen Grenz­ge­biet, aber hier gibt es end­lich kei­ne Bur­ka-ver­mumm­ten Phan­to­me mehr. Statt­des­sen tra­gen die Frau­en hier einen aus einer Hose und einem lan­gen Ober­teil (und meist noch einem dazu pas­sen­den Schal) bestehen­den Pan­ja­bi Dress oder einen far­ben­fro­hen Sari.

Was für eine Erleich­te­rung, end­lich wie­der die Gesich­ter und die Haa­re von Frau­en zu sehen! Und wie schön die­se Frau­en mit ihren lack­schwar­zen, zu dicken Zöp­fen oder Kno­ten fri­sier­ten Haa­ren, den mit Kajal geschwärz­ten Augen­li­dern und ihrem glit­zern­den Schmuck sind!
Es herrscht auch viel mehr Ver­kehr als in Afghanistan.

Dort war es gar nicht beson­ders auf­ge­fal­len, dass Rolf „auf der fal­schen Sei­te” fuhr. Hier aber ist so viel los auf den Stra­ßen, dass Cathe­ri­ne unse­rem Fah­rer bei Über­hol­ma­nö­vern assis­tie­ren muss. Der 608 ist nun mal kein Rechts­len­ker, und des­halb hat sie vom Bei­fah­rer­sitz aus die bes­se­re Sicht auf den Gegenverkehr.
Das Kli­ma unter­schei­det sich eben­falls stark von der hei­ßen Wüs­ten­luft, an die wir uns schon so gewöhnt haben. Mäch­tig warm ist es hier auch, aber die Luft­feuch­tig­keit ist so hoch, dass jede Bewe­gung zur schweiß­trei­ben­den Anstren­gung wird.

Puh! Das ist hier ja wie in der Sau­na,” stöhnt Rosi.

Am frü­hen Abend kom­men wir nach Pescha­war, und Rolf fährt zu einem Hotel, dass er uns als „leid­lich sau­ber und recht güns­tig” beschreibt. Auch das Hotel-Restau­rant sei emp­feh­lens­wert, und das ist eine sehr gute Nach­richt, denn nach der lan­gen Fahrt sind wir ziem­lich hungrig.
Das Gebäu­de stammt mit Sicher­heit aus der Zeit der bri­ti­schen Kolo­ni­al­herr­schaft.

Man kann sich gut vor­stel­len, wie damals tro­pen­be­helm­te Offi­zie­re in die­ser Lob­by bei­sam­men stan­den oder hoheits­voll bli­cken­de Ladies mit schwin­gen­den Röcken die brei­te Trep­pe her­ab kamen.

Teu­er ist es trotz­dem nicht, hier abzu­stei­gen, denn bei der gan­zen Pracht ist der Lack ab. Wo frü­her ver­mut­lich Kron­leuch­ter hin­gen, bau­meln jetzt nack­te Glüh­bir­nen. Die weni­gen ver­blie­be­nen Tep­pi­che sind von Mot­ten zer­fres­sen, der ris­si­ge Putz brö­ckelt und die knar­ren­den Stu­fen der Trep­pe hän­gen so durch, dass erhöh­te Auf­merk­sam­keit bei ihrer Benut­zung gebo­ten ist.

Das Zim­mer, das Inge und ich gemie­tet haben, hat aber trotz der durch­ge­le­ge­nen Matrat­zen in den Bet­ten und und der mini­ma­len Möblie­rung (Bet­ten, ein Tisch, ein Stuhl…) Charme.

Es ist rie­sig, und der gro­ße Ven­ti­la­tor unter der Decke funk­tio­niert sogar.

Außer­dem gehört dazu ein – eben­falls rie­si­ges – Bade­zim­mer, in dem sich nicht nur ein Wasch­be­cken und ein (euro­päi­sches) WC, son­dern auch eine rich­ti­ge Bade­wan­ne befin­det! Seit Ham­burg habe ich kei­ne mehr zu Gesicht bekom­men, ich dach­te schon, in Asi­en kennt man nur Duschen.
Bei Anbruch der Dun­kel­heit tref­fen wir uns mit unse­ren Mit­rei­sen­den zum Essen im Hotel-Restau­rant, und unser Fah­rer hat nicht zuviel ver­spro­chen. Schon die wür­zi­gen Düf­te, die aus der Küche kom­men, sind sensationell.

Glück­li­cher­wei­se sind die Spei­se­kar­ten, die man uns vor­legt, in Eng­lisch ver­fasst. Dass wir außer ein paar tro­cke­nen Kek­sen heu­te noch nichts geges­sen haben, trägt natür­lich auch dazu bei, dass wir eine Groß­be­stel­lung aufgegeben.

Ich bestel­le eine Por­ti­on Pako­ras (die Inge und ich tei­len wol­len) und ein Lamm­cur­ry mit Reis, und der Kell­ner lächelt freund­lich, schüt­telt aber den Kopf. Das heißt, eigent­lich wackelt er mit sei­nem Kopf hin und her.

Ich bin ver­wirrt. Bedeu­tet das, dass es kei­ne Pako­ras und kein Lamm­cur­ry gibt?

Cathe­ri­ne lacht, als ich sie fra­ge. Nein, das sei die indi­sche – oder auch paki­sta­ni­sche – Art des Nickens, erklärt sie mir, eine Ges­te der Zustimmung.

Es bedeu­tet aller­dings nicht unbe­dingt ein kla­res „Ja””, fügt sie hin­zu, „son­dern manch­mal ist es auch bloß ein Akt der Höf­lich­keit. Wenn sie etwas nicht wis­sen, wackeln sie auch lie­ber lächelnd mit dem Kopf, statt dir ins Gesicht zu sagen, dass sie kei­ne Ahnung haben, ob du auf der rich­ti­gen Stra­ße unter­wegs bist.”
In der Tat, der Kell­ner nimmt alle acht Bestel­lun­gen an unse­rem Tisch mit dem glei­chen Kopf­wa­ckeln ent­ge­gen. Er hat sich nichts notiert (viel­leicht kann er ja auch gar nicht schrei­ben?), und ich bin gespannt, ob jeder das bekommt, was er geor­dert hat.

Rolf hat Rind­fleisch bestellt, denn das wird im über­wie­gend hin­du­is­ti­schen Indi­en, wo Kühe als hei­li­ge Wesen gel­ten, nicht mehr so ein­fach zu bekom­men sein.

Dafür kriegt man aber das bes­te Chi­cken-Cur­ry der Welt in Delhi, im Kwa­li­ty-Restau­rant,” behaup­tet er, weil Rosi sich gera­de ein Cur­ry mit Hüh­ner­fleisch bestellt hat.

Kwa­li­ty macht auch eine total lecke­re Eis­krem,” ergänzt Catherine.

Eis­krem? Kann man denn in Indi­en Eis essen?” fragt Inge mit gro­ßen Augen. „Ich habe sogar in Ham­burg schon mal von Soft­eis Durch­fall gekriegt!”

Du kannst nicht irgend­ei­ne Eis­krem in Indi­en essen, nur die von Kwa­li­ty. Da kann man sich drauf ver­las­sen, dass die okay ist. Auch Süßig­kei­ten wie Gulab Jamun zum Bei­spiel wür­de ich nie ein­fach irgend­wo kau­fen, son­dern nur von Kwa­li­ty. Wenn du sol­che Sweets in einem Shop am Stra­ßen­rand kaufst, kriegst du mit ziem­li­cher Sicher­heit Wür­mer – oder Schlimmeres.”

Kin­ners, kön­nen wir jetzt bit­te das The­ma wech­seln?” pro­tes­tiert Rolf.

Ich geden­ke näm­lich, mir jetzt ordent­lich den Bauch voll zu schla­gen, und ich glau­be, da kommt gera­de mein Essen…”
Erstaun­li­cher­wei­se hat unser Kell­ner nicht nur alle Bestel­lun­gen rich­tig behal­ten, son­dern er weiß auch noch, wer was bekommt.

Wie ein Gene­ral steht er mit hoch­ge­reck­tem Kinn da und gibt den drei Hilfs­kell­nern, die die Tabletts her­an­schlep­pen, mit knap­pen Ges­ten und halb­laut gemur­mel­ten Anwei­sun­gen zu ver­ste­hen, wel­che Tel­ler und Schüs­seln zu wel­chem Gast gehören.

Mein Essen ist so köst­lich, wie die Düf­te aus der Küche hof­fen lie­ßen, und auch die Ande­ren sind begeis­tert. Obwohl die Por­tio­nen reich­lich bemes­sen sind, bleibt am Ende kaum ein Reis­korn übrig.
Nach dem Essen haben alle es eilig, in die Bet­ten zu kom­men. Wahr­schein­lich bin ich die ein­zi­ge, die nicht gleich schla­fen geht – und das, obwohl auch ich hun­de­mü­de bin. Aber die Vor­stel­lung eines Voll­bads in der gro­ßen, email­lier­ten Wan­ne mit den Löwen­fü­ßen reizt mich ein­fach zu sehr, und mor­gen soll es in aller Frü­he wei­ter gehen, da wer­de ich kei­ne Zeit für ein ent­spann­tes Bad haben.

Ich dre­he den Warm­was­ser­hahn auf, und irgend­wo in den alten Roh­ren rum­pelt und pfeift es wie eine schot­ti­sche Dudel­sack-Kapel­le. Dann ver­stummt das son­der­ba­re Geräusch, und damp­fen­des, brau­nes Was­ser spru­delt aus dem Hahn. Ich war­te einen Moment, bis das hei­ße Was­ser klar aus der Lei­tung kommt, und ste­cke erst dann den Stöp­sel in den Abfluss.

Als die Wan­ne halb voll ist, set­ze ich mich hin­ein. Und dann sit­ze ich in dem war­men Was­ser – und weiß nichts mit mir und die­sem Bade­wan­nen-Luxus anzufangen.

Mir wird klar, dass es zwar an einem Novem­ber­tag in Ham­burg, wenn man durch­ge­fro­ren nach Hau­se kommt, nichts Schö­ne­res gibt als ein aus­ge­dehn­tes Voll­bad, mög­lichst mit einem guten Buch und einem Glas Rot­wein, dass so ein Bad in einer Gegend mit Sau­na-Kli­ma und gefühl­ten Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren um die vier­zig Grad jedoch kein Ver­gnü­gen ist. Was man hier braucht, ist eine küh­le oder höchs­tens lau­war­me Dusche!