17. Kathmandu – I’ll soon be seeing you…

Unser Bum­mel über den Jan­path Mar­ket im Zen­trum Neu Delhis zieht sich in die Län­ge, denn es gibt an den Stän­den nicht nur Kunst­hand­werk, Schmuck und Tex­ti­li­en in einer unglaub­li­chen Viel­falt zu bewun­dern, son­dern jeder Kauf, selbst der eines bil­li­gen bun­ten Glas-Arm­rei­fens, ist mit beträcht­li­chen Anstren­gun­gen verbunden.
Denn hier wird weit­aus erbit­ter­ter gefeilscht als im Gro­ßen Bazar von Istan­bul oder in den Shops von Herat und Kabul!

Fragt man nach einem Preis („kid­naa pai­saa?”), dann trifft einen erst ein­mal ein prü­fen­der Blick des Händ­lers. Klei­dung, Schmuck und Fri­sur, ver­mut­lich auch der Gesund­heits­zu­stand, wer­den in Sekun­den­bruch­tei­len gescannt, um zu ermit­teln, aus wel­chem Teil der Welt der Inter­es­sent kommt und wie er finan­zi­ell aus­ge­stat­tet sein mag. Die Ana­ly­se die­ser Fak­to­ren mün­det dann offen­bar in einer – bei Euro­pä­ern zwei‑, bei US-Ame­ri­ka­nern drei­stel­li­gen – Zahl, mit wel­cher der für Ein­hei­mi­sche übli­che Preis mul­ti­pli­ziert wird. Sodann öff­net der Anbie­ter den Mund und nennt eine enor­me Fan­ta­sie­sum­me – wobei die weni­ger abge­brüh­ten Händ­ler ange­sichts der Höhe der ver­lang­ten Sum­me selbst ein biss­chen erschro­cken wirken…

Das spie­le­ri­sche Ele­ment, das für mich in Afgha­ni­stan den Reiz des Feil­schens aus­mach­te, fehlt hier lei­der völ­lig. Daher beant­wor­te ich die Nen­nung von total über­zo­ge­nen Preis­for­de­run­gen ziem­lich schnell nur noch mit einer generv­ten Gri­mas­se und wen­de mich ab.

An einem Schmuck­stand zie­hen dann aber doch aus fei­nem Sil­ber­draht gefloch­te­ne Arm­bän­der mei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich. Die Span­gen und Ver­schlüs­se die­ser Arm­bän­der sind von sehr unter­schied­li­cher Qua­li­tät. Bei eini­gen ist kaum zu erken­nen, was sie dar­stel­len sol­len, wäh­rend ande­re vie­le zier­li­chen Details aufweisen.

Ich rei­che dem alten Mann mit Tur­ban, der hin­ter dem Laden­tisch steht, zwei mög­lichst ver­schie­de­ne Arm­bän­der hin­über. Wie Cathe­ri­ne es uns ein­ge­schärft hat, tue ich das mit der rech­ten Hand, denn die Lin­ke wird in Indi­en zum Abwa­schen des Hin­terns nach dem Toi­let­ten­gang benutzt und ist daher „unrein”.

Bei dem einen Arm­band, das ich her­aus­ge­sucht habe, ist der Ver­schluss bloß ein Sil­ber­klum­pen, der ent­fernt einem Stern ähnelt, wäh­rend das ande­re Stück von fein­ge­ar­bei­te­ten Blu­men­or­na­men­ten geziert wird. Zu mei­ner Über­ra­schung wirf der Händ­ler bei­de Arm­bän­der hin­ter­ein­an­der auf eine Waa­ge und zeigt dann die Prei­se auf einer Tabel­le – sie rich­ten sich aus­schließ­lich nach dem Sil­ber­ge­wicht, und da das fein gear­bei­te­te Schmuck­stück weni­ger wiegt, ist es bil­li­ger als das hässliche!

Trotz­dem wird mir nach kur­zem Nach­den­ken klar, dass hier eben­falls gefeilscht wer­den kann – und wohl auch muss, will ich nicht als dum­me Tou­ris­tin daste­hen, die mehr Geld als Ver­stand hat. Also fan­ge ich an, mit dem Alten über den von ihm zugrun­de­ge­leg­ten Sil­ber­preis zu ver­han­deln, und nach etwa einer Vier­tel­stun­de wer­den wir uns tat­säch­lich einig.

Inge hat unter­des­sen einen geba­tik­ten Wand­be­hang für ihre Eltern und eine bestick­te Blu­se für sich erstan­den, und nun sind wir bei­de erschöpft und ver­schwitzt – reif für den Pool des Hotel Impe­ri­al!

Glück­li­cher­wei­se ist es nicht mehr weit bis zu dem unüber­seh­ba­ren Pracht­bau am Janpath.

Wir gehen direkt zum Swim­ming­pool, der hin­ter dem Haupt­ge­bäu­de inmit­ten der gepfleg­ten Gar­ten­an­la­ge liegt. An der Tür eines Pavil­lons erhal­ten wir von einem Hotel­an­ge­stell­ten in wei­ßer Uni­form gegen Zah­lung von 10 Rupi­en eine Tages-Ein­tritts­kar­te und ein blau-weiß gestreif­tes Badehandtuch.

Der Pool ist nicht beson­ders groß, aber glück­li­cher­wei­se gibt es nur weni­ge Schwim­mer außer uns. Die meis­ten Anwe­sen­den rela­xen auf Lie­ge­stüh­len und Tüchern auf dem Rasen.

Nach­dem wir uns aus­gie­big erfrischt haben, rei­be ich mich nach dem Abtrock­nen mit einem lecker duf­ten­den Kokos­öl ein, das ich in einem Shop am Con­n­aught Cir­cus gekauft habe. Laut Eti­kett han­delt es sich eigent­lich um ein Haar-Öl, aber ich will es als Bräu­nungs-Beschleu­ni­ger ver­wen­den, denn mei­ne seit Wochen rund um die Uhr züch­tig bedeck­ten Kör­per­tei­le (wie Arme, Bei­ne, Bauch und Rücken) sind noch deut­lich hel­ler als mein Gesicht, die Hän­de und die Füße. Das soll sich schleu­nigst ändern.

Inge greift lie­ber zu deut­scher Son­nen­creme, aber sie ist ja auch eine blas­se Blon­di­ne, deren som­mer­spros­si­ge Haut sich rötet, statt braun zu werden.

Drei jun­ge Män­ner mit halb­lan­gen Haa­ren kom­men von der Ter­ras­se des Hotels zum Pool geschlen­dert, mus­tern die Anwe­sen­den und las­sen sich dann links von uns nieder.

Auf den ers­ten Blick wir­ken sie wie irgend­wel­che Hip­pies, die man eher im New Delhi Tou­rist Camp ver­mu­ten wür­de als im Hotel Impe­ri­al, aber dann sehe ich, dass die Hem­den und Hosen, die sie able­gen, tipp­topp gebü­gelt und aus feins­tem Zwirn sind. Auch tra­gen sie unge­wöhn­lich viel Schmuck, bei­spiels­wei­se hat der eine einen brei­ten Gür­tel aus Sil­ber um, der gear­bei­tet ist wie mein neu­es Arm­band – nur das er bestimmt das Hun­dert­fa­che wiegt (und kostet) …

Inges Blick ist dem mei­nen gefolgt.

Was auch immer die­se Her­ren für Geschäf­te machen – sie lau­fen offen­sicht­lich sehr gut, die­se Geschäf­te,” mur­melt sie.

Ich beob­ach­te, wie ein Hotel-Boy ein Tablett mit einen eis­ge­kühl­ten Long­drink zu einer älte­ren Dame im Lie­ge­stuhl bringt, und win­ke ihn zu uns her­an. Wir bestel­len Lemon Ice Tea, und da mein Magen schon mehr­mals ver­nehm­lich geknurrt hat, orde­re ich dazu noch ein Club Sand­wich – auch wenn das hier den Preis eines kom­plet­ten Menüs (in einem „nor­ma­len” Restau­rant) kostet.

Die Her­ren mit dem schwe­ren Sil­ber­schmuck sind anschei­nend zum Bräu­nen an den Pool gekom­men, denn ins Was­ser gehen sie nicht. Nach einer Wei­le beginnt einer von ihnen, einen rie­si­gen Joint zu dre­hen, und bald weht eine Wol­ke har­zi­gen Rauchs herüber.

Die älte­re Dame zu unse­rer Rech­ten, ich hal­te sie für eine Bri­tin, zischelt ihrer Freun­din etwas zu, und ich mei­ne, ein „digus­ting” herauszuhören.

Mir tut der Boy leid, der gera­de mit unse­ren Eis­tees und dem Sand­wich naht.

Der gute Mann befürch­tet wahr­schein­lich, dass sich die älte­ren Hotel­gäs­te gleich bei ihm beschwe­ren wer­den und er gezwun­gen sein wird, die Kif­fer zurecht­zu­wei­sen, die aber offen­bar auch Hotel­gäs­te sind – mög­li­cher­wei­se sogar wel­che, die beim Trink­geld weit­aus groß­zü­gi­ger sind als eng­li­sche Ladies. Er weiß gar nicht, wo er hin­gu­cken soll, und hat es sehr eilig, zu kas­sie­ren und zurück zum Pavil­lon zu flüchten.

Einer von den rei­chen Jungs hebt den Joint hoch und schwenkt ihn mit fra­gen­der Mie­ne in unse­re Rich­tung. Ich win­ke kopf­schüt­telnd ab, fische mei­nen Nepal-Rei­se­füh­rer aus mei­ner Tasche und ver­tie­fe mich in die­se Lektüre.

Was für rück­sichts­lo­se Schnö­sel! Klar, man kann hier in Delhi rela­tiv pro­blem­los Haschisch kau­fen, aber das ändert doch nichts an der Tat­sa­che, dass Han­del und Kon­sum in Indi­en Straf­ta­ten darstellen.

Wenn im „Tou­rist Camp” am Abend, dis­kret hin­ter Bus­sen, Zel­ten oder Hüt­ten, der eine oder ande­re Joint her­um geht, dann hat bestimmt nie­mand ein Pro­blem damit. Hier aber, wo über­wie­gend kon­ser­va­ti­ve Hotel­gäs­te am Pool Ent­span­nung suchen, ist demons­tra­ti­ves Kif­fen ein­fach nur dumm­dreist. Außer­dem fin­de ich es extrem unfair, Hotel­an­ge­stell­te, die ver­mut­lich froh über einen kri­sen­fes­ten Job in einem der renom­mier­tes­ten gro­ßen Hotels der Stadt sind, in eine sol­che Zwick­müh­le zu bringen!

Als wir am Abend ins „Tou­rist Camp” zurück kom­men, fin­den wir unse­re Rei­se­grup­pe beim Bus ver­sam­melt. Die Gesich­ter sind trau­rig bis betre­ten, und wir erfah­ren schnell den Grund dafür:

Anna hat im Haupt­post­amt einen Brief ihrer Mut­ter vor­ge­fun­den, in dem die­se sie auf­for­dert, umge­hend nach Ham­burg zurück zu keh­ren – andern­falls, so droht sie, wer­de sie Anna das Sor­ge­recht für die Toch­ter ent­zie­hen las­sen. Es stellt sich her­aus, dass Anna, als sie kurz vor unse­rer Abrei­se das Kind zu ihrer Mut­ter gebracht hat, die­ser wohl nicht die gan­ze Wahr­heit über das Ziel und die Dau­er ihrer Rei­se gesagt hat…

Mensch, Frau,” platzt es aus Inge her­aus, „Spon­ta­nei­tät ist ja gut und schön – aber so etwas kannst du doch nicht machen!”

Anna zieht eine Gri­mas­se und nickt betrübt.

Das ist mir jetzt auch klar.”

Die Leu­te aus dem Rei­se­bü­ro, in dem wir erst ges­tern unse­re Rück­flug-Tickets gekauft haben, waren sehr nett und pro­fes­sio­nell, erzählt Anna. Sie haben es geschafft, sie schon mor­gen in einem Flie­ger nach Deutsch­land unterzubringen.

Wir sit­zen noch lan­ge bei­ein­an­der. Rolf schmeißt den Kas­set­ten­re­cor­der im Bus an und tut sein Bes­tes, um uns auf­zu­hei­tern („Das ist jetzt Annas vor­erst letz­ter Abend in Indi­en, da soll­ten wir nicht Trüb­sal bla­sen!”), aber die Stim­mung ist und bleibt gedrückt. Ich glau­be, jeder von uns wird die warm­her­zi­ge Anna ver­mis­sen, sogar Agnes, der sie zu Beginn unse­rer Rei­se erklär­ter­ma­ßen viel zu „aus­ge­flippt” erschien.

Der wort­kar­ge Eigen­bröt­ler Ulli, mit dem zusam­men Anna von Anfang an viel unter­nom­men hat, hat einen Arm um sie gelegt und redet mit lei­ser, lie­be­vol­ler Stim­me auf sie ein. Ich habe gar nicht mit­ge­kriegt, dass die bei­den was mit­ein­an­der hat­ten – aber die Zärt­lich­keit, mit sie sich jetzt küs­sen, lässt wohl kei­nen ande­ren Schluss zu.