31. August 1978

Stefan erzählt:

Früh um sechs Uhr wer­den wir durch auf­ge­reg­tes Getrap­pel aus dem Schlaf geris­sen, zwi­schen Zel­ten und VW-Bus­sen herrsch­te Hektik.

Ein Deut­scher hat­te einen Dieb auf fri­scher Tat ertappt und uns alar­miert. Robert war als ers­ter auf den Bei­nen gewe­sen, den Dieb frei­lich hat­te er nicht mehr zu Gesicht bekom­men. Bei der Flucht über die Cam­ping­platz-Mau­er hat­te er jedoch sei­ne Brief­ta­sche – erleich­tert um erheb­li­che Bar­geld­be­stän­de – und ein Lager von vier noch nicht geplün­der­ten Rei­se­ta­schen gefun­den. Der Dieb hat­ten den vor­de­ren Teil des VW-Bus­ses aus­ge­räumt und Agis Tasche mit­ge­nom­men, die vor dem Zelt lag. Auf der Ver­lust­lis­te stand also auch unse­re Ben­zin­kas­se, Agis Per­so­nal­aus­weis und Gun­nes Kamera.

Wenig spä­ter tra­fen auch ande­re Geschä­dig­te bei bei uns ein. Ein Trupp Ita­lie­ner zum Bei­spiel, denen ca. 400 US$, die Fähr­ti­ckets nach Ita­li­en sowie sämt­li­che Papie­re abhan­den gekom­men waren. Von uns war wohl Robert am här­tes­ten betroffen.

Die bei­den marok­ka­ni­schen Wach­sol­da­ten des Cam­ping­plat­zes, die wir von dem Vor­fall infor­mier­ten, zeig­ten sich rela­tiv unge­rührt und rie­ten uns, Anzei­ge zu erstat­ten. Unab­hän­gig davon nah­men Gun­ne und zwei der Ita­lie­ner Kon­takt zu den „klei­nen Füh­rern“ auf, die sich auch zuver­sicht­lich zeig­ten, Sach­wer­te und Papie­re wie­der­zu­be­schaf­fen – gegen ange­mes­se­ne Vor­aus­zah­lung natür­lich nur.

Spä­ter gin­gen Ste­fan, Agi und Gun­ne in die Neu­stadt ein­kau­fen. In der male­ri­schen städ­ti­schen Markt­hal­le kauf­ten wir Lebens­mit­tel ein, und auf der Stra­ße erstand Gun­ne nach ange­mes­se­nem Feil­schen eine Woll­de­cke mit Ber­ber-Mus­ter. Die Anzei­ge bei der Poli­zei hät­te sich in Deutsch­land auch nicht büro­kra­ti­scher gestal­ten kön­nen: Vom zen­tra­len Kom­mis­sa­ri­at wur­den wir zum zwei­ten Aron­dis­se­ment geschickt, wo die bei­den Ita­lie­ner schon auf uns warteten.

Sie hat­ten einen wesent­lich län­ge­ren Irr­weg hin­ter sich. Nach eini­gem War­ten erbarm­te sich ein mit Fran­zö­sich-Kennt­nis­sen aus­ge­stat­te­ter Poli­zei-Offi­zier und nahm Gun­nes Anzei­ge auf, wäh­rend Ste­fan mit dem Lan­gen­scheidt-Wör­ter­buch dol­metsch­te. Das Doku­ment in min­des­tens zehn­fa­cher Aus­fer­ti­gung wur­de fei­er­lich unter­zeich­net, dann zogen wir in Rich­tung Cam­ping­platz in dem Bewusst­sein, zumin­dest die For­ma­li­tä­ten erle­digt zu haben. Über den Erfolg unse­rer Anzei­ge mach­te sich wohl kei­ner Illu­sio­nen. In einem Café mach­ten wir bei Cola und Bier eine Pau­se, um den Rama­dan zu ent­hei­li­gen und lie­ßen auch ein Ziga­rett­chen nicht aus. Der Nach­mit­tag war der Erho­lung im Swim­ming­pool gewid­met. Gun­ne bau­te indes­sen sei­ne Kon­tak­te zur Heh­ler­sze­ne aus und lern­te einen gewis­sen Hamid ken­nen, der ver­sprach, ihn mit einem Hassan zusam­men zu brin­gen, der an die­sem Tage jedoch geschäft­lich in Tan­ger war. Jeden­falls kam Gun­ne so zu einer kos­ten­lo­sen Altstadtführung.

Zum Abend­essen gab es das glei­che wie am Vor­ta­ge, jedoch mit Auber­gi­nen ver­fei­nert. Das Mahl fand dösi­gen Bei­fall. Gun­ne und Robert führ­ten zum Nach­tisch ein Pfeif­chen zum Mun­de, das jedoch ohne sicht­ba­ren Erfolg blieb. Wir blö­del­ten noch eine Wei­le her­um und gin­gen dann schlafen.

Agi berichtet:

Am Mor­gen war sogar das Schwimm­be­cken leer, es wur­de gera­de von irgend­wel­chen gam­me­li­gen Wär­tern gesäu­bert. Um alle Leu­te end­gül­tig vom Cam­ping­platz zu ver­trei­ben, wur­de das fri­sche Was­ser nur tröpf­chen­wei­se ein­ge­las­sen, so dass die Fül­lung des Beckens über­schlags­wei­se eine Woche in Anspruch neh­men wür­de. Aber man füg­te sich dar­ein und ver­brach­te einen wei­te­ren Tag auf dem Cam­ping­platz mit Urlaubs­be­schäf­ti­gun­gen (Lan­ge­wei­le). Am Abend rap­pel­ten wir uns dann doch noch auf zu einem Medi­na-Spa­zier­gang, dar­auf spe­ku­lie­rend, dass es dort doch immer ganz lus­tig sei. Gleich zu Anfang kam Gun­ne voll auf sei­ne Kos­ten: Ein „klei­ner Füh­rer“ aul­te ihm aufs spär­li­che Haar, so dass Gun­ne wie ein Teu­fel mit Schlab­ber und PLO-Tuch ihn ver­folg­te, lei­der ver­geb­lich. Kur­ze Zeit dar­auf ver­si­cher­te uns aber ein Park­wäch­ter mit einem brei­ten Lächeln, dass der Klei­ne genü­gend bestraft wor­den sei. Anschei­nend waren uns die Medi­na-Leu­te uns heu­te wirk­lich nicht wohl geson­nen: In einer dunk­len Gas­se wag­te es ein klei­ner Marok­ka­ner, a in den Po zu knei­fen; Allahs fürch­ter­li­che Rache ließ aller­dings wie­der nicht lan­ge auf sich war­ten: auf der Flucht rann­te er voll in Agis Bauch, die ihn tüch­tig beutelte.

Auf der gam­me­li­gen Brü­cke über den abso­lut stinkends­ten Fluss der Welt war­te­ten wir auf das Ende Rama­dan-Tages, da wir unse­re Ziga­rett­chen – immer höf­lich den Lan­des­sit­ten ange­passt – erst nach Son­nen­un­ter­gang rau­chen woll­ten. Inzwi­schen gesell­ten sich zu uns auch Mas­sen von Marok­ka­nern, die das Ende des Rama­dan her­bei­sehn­ten, immer abwech­selnd den Muez­zin und das Mina­rett ver­flu­chend, zu uns, wohl auf unse­ren Ziga­ret­ten-Vor­rat spe­ku­lie­rend. Um uns etwas belieb­ter zu machen, spen­dier­ten wir Punkt Rama­dan-Ende zur all­ge­mei­nen Freu­de eine gan­ze Packung. Wäh­rend wir zum Auto zurück­wan­der­ten, war die Medi­na wie leer­ge­fegt, alle klei­nen Füh­rer und Tep­pich-Ver­käu­fer stürz­ten sich heiß­hung­rig über ihre Suppen.

Zu Hau­se mansch­ten wir etwas Rühr­ei mit Brot, eine abso­lut sät­ti­gen­de Mahlzeit.

Von die­sem Erfolg ermu­tigt, beschloss Gun­ne, sich die Haa­re zu fär­ben, Hen­na hat­ten wir schon gekauft. Nach­dem er, von allen ermun­tert, sei­ne gan­ze gam­me­li­ge Zivil­cou­ra­ge zusam­men­ge­nom­men und sich das stin­ken­de Zeug auf den Kopf geschmiert hat­te, fühl­te sich auch Robert ani­miert – obwohl er beim Anblick des Zeugs nur an Schei­ße erin­nert wur­de – und wag­te den ent­schei­den­den Schritt.

Inzwi­schen war man doch ange­mü­det und ver­zog sich in die muf­fi­gen Schlaf­sä­cke. Nur Gun­ne und Robert harr­ten tap­fer mit dem feuch­ten Hen­na im Haar aus.