Spanien, Frankreich September 1978

An einem Tag in der zwei­ten Sep­tem­ber­hälf­te hat die Stun­de des Auf­bruchs geschla­gen, wie­der packen wir alle Hab­se­lig­kei­ten zusam­men und ver­stau­en es so im Bus, dass wir noch Platz zum Sit­zen  haben. Das nächs­te Ziel heißt Andor­ra in den Pyre­nä­en, unser Weg führt ein­mal quer durch Spa­ni­en, über die Haupt­stadt Madrid.

Da es zu die­sem Zeit­punkt kei­ne Auf­zeich­nun­gen im Rei­se­ta­ge­buch mehr gibt, schrei­be ich mei­ne Erin­ne­run­gen aus einem Abstand von fast vier­zig Jah­ren auf. Es gibt ein paar Bil­der, die sich mir ein­ge­prägt haben, zum Teil natür­lich, weil jemand es foto­gra­fiert oder davon erzählt hat, aber auch Bil­der, die mich so beein­druckt haben, dass sie mir ein­fach in Erin­ne­rung geblie­ben sind.

Die­sen Abschnitt der Rei­se legen wir wie­der ohne Über­nach­tungs­halt zurück. Für den Fah­rer bedeu­tet das, er fährt solan­ge er die Augen offen hal­ten kann. Dann fährt er rechts ran, (der Motor muss wei­ter lau­fen, weil der Magnet­schal­ter des Anlas­sers hängt und der Motor des­halb nicht neu gestar­tet wer­den kann), der ande­re Fah­rer wird geweckt und steigt auf den Fahrersitz.

Unter­halb einer gewal­ti­gen Fes­tung in einem öden Tal ohne Baum und Strauch (mög­li­cher­wei­se Cor­do­ba) im oran­gen Licht der Queck­sil­ber­dampf­lam­pen tau­schen wir in der Nacht das ers­te Mal. Es ist scha­de, dass wir an den berühm­ten Städ­ten Sevil­la und Cor­do­ba vor­bei­fah­ren, aber der Erleb­nis­hun­ger der meis­ten Mit­rei­sen­den ist gestillt, für eine wei­te­re Unter­bre­chung der Rei­se fin­det sich kei­ne Mehr­heit. Wei­ter geht die Rei­se durch die Nacht, dann mit redu­zier­ter Geschwin­dig­keit, denn jetzt geht es dau­ernd berg­auf zur kas­ti­li­schen Hoch­ebe­ne Mese­ta, wo Madrid liegt.

Der Bus reiht sich ein in die Kolon­ne von alten und neu­en, gro­ßen und klei­nen Lie­fer­wa­gen, die — wie ich ver­mu­te — Lebens­mit­tel und ande­re Ver­sor­gungs­gü­ter in die Haupt­stadt brin­gen. Wenn ich es schaf­fe, mit dem Bus, der sich mit der Stei­gung wirk­lich schwer tut, den einen oder ande­ren die­ser Lie­fer­wa­gen zu über­ho­len, sieht man manch­mal auf einer Lade­flä­che Kis­ten mit Obst und Gemü­se und Käfi­ge mit Tie­ren und kann sich gut vor­stel­len, wie die Kara­wa­nen von Och­sen- und Esels­kar­ren aus­ge­se­hen haben müs­sen, die sich in frü­he­ren Zei­ten hier hin­auf­ge­quält haben. Wir fah­ren auf einer zwei­spu­ri­gen Land­stra­ße, die sich am Berg­hang ent­lang immer höher win­det. Über­hol­ma­nö­ver sind für mich Füh­rer­schein­neu­ling und Stadt­fah­rer ner­ven­auf­rei­ben­de Aktio­nen, die ich manch­mal abbre­chen muss, weil die Pus­te nicht reicht, um vor­bei­zu­zie­hen oder weil plötz­lich Gegen­ver­kehr auftaucht.

Ich erin­ne­re mich, dass wir im ers­ten Licht der Mor­gen­son­ne die Vor­or­te von Madrid errei­chen. Inzwi­schen habe ich mich schla­fen gelegt und Robert fährt. Ich wache kurz auf und sehe durch das trü­be Auto­fens­ter Men­schen an einer Bus­hal­te­stel­le war­ten, mit Akten­ta­schen und Brot­bo­xen auf dem Weg zur Arbeit. Auch in die­ser Stadt lan­det man immer wie­der an der sel­ben Stel­le, wenn man dem Schild „todas direccio­nes” (oder so) folgt. Am Ende schafft es Robert, dass wir Madrid hin­ter uns las­sen. Abends hal­ten wir am Fuß der Pyre­nä­en und schla­fen uns erst­mal rich­tig aus.

Andor­ra preist Gun­ne uns vor allem wegen sei­nes zoll­frei­en Ein­kaufs an. Als wir am nächs­ten Mor­gen dort ankom­men, erste­he ich eine Stan­ge Gau­loi­ses jau­nes, sehr star­ke, fil­ter­lo­se Ziga­ret­ten, die angeb­lich in Mais­pa­pier gewi­ckelt sind und einen süßen Geschmack haben. Nach­dem ich eine davon geraucht habe, füh­le ich mich elend und lege die Packung erst­mal weg. Ich wech­se­le auf­trags­ge­mäß die Glüh­bir­ne vor­ne links, baue dabei über­flüs­si­ger­wei­se aber den gan­zen Schein­wer­fer aus­ein­an­der. Als das her­aus­kommt, wird die Stim­mung etwas gereizt.

Der Scha­den ist aber schnell beho­ben und wir fah­ren den nörd­li­chen Pyre­nä­en­hang hin­un­ter nach Frank­reich. Bis jetzt sind die Grenz­kon­trol­len lax, Schmug­geln gehört in Andor­ra zum kul­tu­rel­len Erbe, ver­si­chert Gunne.

In der Nähe von einem süd­fran­zö­si­schen Land­städt­chen (sehr wahr­schein­lich Les Caban­nes), in dem gera­de ein Jahr­markt statt­fin­det, fin­den wir einen geeig­ne­ten Über­nach­tungs­platz. Auf einer sanft anstei­gen­den Wie­se, die von einem Wäld­chen vor den Augen Neu­gie­ri­ger geschützt ist, steht der Bus hin­ter einer Scheu­ne. Wir lie­gen im Gras und hören aus dem Auto Deutsch­land­ra­dio. Eine Par­la­ments­de­bat­te wird in Aus­schnit­ten über­ra­gen und wir lachen Trä­nen bei einem etwas lah­men Abge­ord­ne­ten­witz über ein „klei­nes deut­sches Berg­volk” (gemeint sind die Bayern).

Agi und ich gehen hin­über in die Stadt mit dem Rum­mel und trei­ben uns dort ein biss­chen her­um. Wahr­schein­lich wir­ken wir hier fremd, mit unse­ren bunt gemisch­ten Kla­mot­ten und braun­ge­brannt, wie wir sind. Wir set­zen uns an ein Tisch­chen vor einen Café und bekom­men trotz unse­res Aus­se­hens einen Kaf­fee. Die Son­ne scheint, wir  gucken noch ein biss­chen, für gro­ße Sprün­ge reiht die Bar­schaft nicht mehr.