Radio TBC

Inzwi­schen hat­te ich die Schu­le been­det und begann Jura zu stu­die­ren, was ich nach vier Semes­tern wie­der auf­gab. Erst viel spä­ter däm­mer­te mir, das die Bemer­kung unter mei­ner ers­ten Klau­sur, der Ver­fas­ser „hät­te die Grund­zü­ge des Rechts­we­sens nicht ver­stan­den” nur der nor­ma­le Schuss vor den Bug war, mit dem die Rei­hen der Stu­die­ren­den soweit gelich­tet wer­den soll­ten, dass ein Stu­di­um über­haupt erst mög­lich wur­de. Damals aber ließ ich mich davon ein­schüch­tern (und von der Per­spek­ti­ve des lan­gen Stu­di­ums) und begann eine Leh­re als Fach­buch­händ­ler in einer medi­zi­ni­schen Fach­buch­hand­lung in Berlin.

Unge­fähr gleich­zei­tig ver­ließ ich mein Eltern­haus und zog mit Freun­den zusam­men in eine zugi­ge Laden­woh­nung am Klau­se­ner Platz in Ber­lin-Char­lot­ten­burg. Das ers­te Mal auf eige­nen Füßen, mit wenig Geld, die­se Ein­drü­cke gin­gen ein in die Idee zum Film „Radio TBC”. Gun­ne und ich ent­war­fen an meh­re­ren Aben­den beim Bier ein Dreh­buch, in dem wir für jeden unse­rer Freun­de ein Rol­le vor­sa­hen. Agnes muss­te unbe­dingt mit­spie­len, das war mir wich­tig. In dem Film machen Jugend­li­che ille­ga­les Radio (als der Film ent­stand, gab es nur öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk). Sie sen­den aus leer­ste­hen­den und Abriss­häu­sern und sind dau­ernd auf der Flucht vor der Poli­zei. Zufäl­lig beob­ach­ten zwei von ihnen einen Unfall, in dem der Vater einer Bekann­ten ums Leben kommt. Sie spü­ren sie auf und neh­men sie mit in ihre ille­ga­le Unter­kunft. Weil zunächst nie­mand den Mut fin­det, ihr vom Tod des Vaters zu erzäh­len, gerät die unbe­hol­fe­ne Für­sor­ge zu einer Art Kid­nap­ping. Mit der Zeit klärt sich aber alles auf und die Wogen glät­ten sich, sie bleibt bei der Radio­trup­pe und macht selbst mit.

Wenn ich ehr­lich bin, hat der Film kei­nen Span­nungs­bo­gen. Es ist ein Fol­ge von Epi­so­den mit Lokal­ko­lo­rit und Anspie­lun­gen auf gemein­sa­me Erleb­nis­se, eigent­lich eine dra­ma­ti­sier­te Ver­si­on unse­rer Wirk­lich­keit. Aber das hat ja auch was, wenn man es nach all den Jah­ren sieht, nur eben wenig All­ge­mein­gül­ti­ges. Es gab T‑Shirts mit dem Namen des Sen­ders und einen VW-Bus, auf dem er mit gro­ßen Buch­sta­ben kleb­te. Das führ­te dazu, dass doch ab und zu die Fra­ge gestellt wur­de „gibt’s den Sen­der wirk­lich?”. Auf die­se Fra­ge gab es nie eine Ant­wort, nur geheim­nis­vol­les Schul­ter­zu­cken. Schließ­lich hat­te kaum jemand selbst Radio Caro­li­ne gehört, des­sen Exis­tenz ist aber unbe­strit­ten. Radio Luxem­burg hin­ge­gen kom­pro­mit­tier­te die Idee des Radio in pri­va­ter Hand durch schnö­de Kom­mer­zia­li­sie­rung und wir hat­ten beson­de­ren Spaß dar­an, auf einer Rei­se den Bus mit dem Namen unse­res Sen­ders vor dem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de von Radio Luxem­burg zu knipsen.

Fil­me zu machen ist ja auch ein Vor­wand, Gren­zen zu über­schrei­ten und Din­ge zu tun, die sich nor­ma­ler­wei­se nicht mög­lich sind. Ich mei­ne nicht nur, dass ich mich viel­leicht sonst nicht getraut hät­te Agnes anzu­spre­chen, ob sie ein paar Wochen­en­den mit mir und mei­nen Freun­den ver­brin­gen will. In leer­ste­hen­de Häu­ser ein­zu­stei­gen, irgend­wo Strom für die Beleuch­tung zu schnor­ren (mög­lichst einen Wasch­ma­schi­nen­an­schluss), mal eine Stra­ße kurz zu sper­ren und eine Unfall­stel­le zu deko­rie­ren, war ein Hei­den­spaß und führ­te dazu, dass es bald einen Nach­fol­ger gab, „Radio TBC II”. Übri­gens: eine tie­fe­re Bedeu­tung steckt hin­ter dem Titel nicht, halt nur der Kalau­er „hier ist Radio TBC (hust, hust, röchel)”.

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